Durch unsere Aufklärung bringen wir die Pferdebesitzer und -halter zum Nachdenken. Wir schaffen Wissen und zerstören damit auch Illusionen.
„Mit dem Wissen wächst der Zweifel„, sagte schon Johann Wolfgang von Goethe und recht hatte er. Denn genau aus diesem Grund ist wissen wichtig. Man fängt an zu hinterfragen, ob dieses oder jenes stimmt, ob es logisch ist und richtig.
Immer wieder werde ich für eine osteopathische Behandlung gerufen und erfahre dann, dass schon X Kollegen vor mir am Pferd waren und auch mehrere Tierärzte ihr Glück versucht haben. Das Pferd lief zwar immer gut nach den Behandlungen, aber nach ein paar Tagen (bestenfalls Wochen) ist alles wieder wie vorher. „Irgendwann muss es doch einen Therapeuten geben, der dem Pferd dauerhaft helfen kann“ ist ein oft gesagter Satz, den ich von den Tierhaltern zu hören bekomme.
Daher sehe ich mich auch in einer aufklärenden Position. Ich erkläre den Besitzern, was bei ihrem Pferd nicht stimmt, lasse sie die Muskulaturdefizite, Knochenpunkte und Sehnen ertasten, bringe Beispiele zur Bewegung und lasse den Besitzer aktiv Bewegungen durchführen, damit er fühlt, was sein Pferd für Probleme hat und wie mit diesen Defiziten umgegangen werden muss, damit sich etwas für das Pferd verbessert.
Teilweise wird mir Verständnis entgegengebracht und die Besitzer stellen ihr Training um. Den Pferden geht es sichtlich sowie merklich besser.
Die andere Seite gibt es aber auch. Hier werde ich entgeistert angesehen und dann kommt die Frage „wann das Pferd nun wieder reitbar sei„, „ob denn die Teilnahme am Turnier nächste Woche möglich ist“ oder „ob ich denn jetzt was einrenken würde, damit das Pferd wieder läuft, haben die anderen Therapeuten ja schließlich auch gemacht„.
Bei letzterer Gruppe kommt mit immer wieder ein Gespräch in den Sinn:
Sie ganz trocken: „Haben Pferde eigentlich Gefühle?“
Ich, leicht irritiert, meint sie das ernst?! Mimik und Gestik sprechen für eine ernst gemeinte Frage mit wirklichem Interesse. Daher antworte ich: „Natürlich haben sie das. Sie atmen, essen, trinken, denken, handeln. Sie leben und sind, wie jedes andere Säugetier auch, mit einem Gehirn ausgestattet. Bei Pferden ist der Temporallappen, welcher u. a. für die Gefühle zuständig ist, genauso vorhanden wie bei uns Menschen. Pferde sind Fluchttiere, Flucht muss nur ergriffen werden, wenn man Angst hat, Angst ist ein Gefühl, genau wie Schmerz!“
Sie schaut mich missbilligend an und erwidert nur: „Aha„, und das Thema war beendet.
Folgend eine kleine Auflistung der häufigsten Ursachen, die ich fast täglich erlebe:
Genickbeulen:
Als Genickbeulen werden angeschwollene Schleimbeutel im Genick bezeichnet. Häufig sind diese über dem 1. Halswirbel (bei Dressurpferden) oder über dem 2. Halswirbel (bei Springpferden) zu finden.
Der anatomische Aufbau:
Über den ersten 2 Halswirbeln liegen Schleimbeutel (jeweils einer pro Wirbel), um das Nackenband vor Aufreibung zu schützen. Wenn das Pferd nun eng geritten wird, bekommt der Schleimbeutel von oben (Nackenband) und von unten (Wirbel) Druck. Er macht, wozu er da ist und schwillt an. Durch die Festigkeit des Nackenbandes kann der Schleimbeutel nur nach links und rechts ausweichen und es entstehen pro Schleimbeutel 2 Beulen (links und rechts unter / neben dem Nackenband.
Beim Menschen gibt es weniger Genickbeulen, aber eine sog. „Bursitis“ hatte bestimmt jeder schon einmal – oder man kennt jemanden, der schon mal eine Schleimbeutelentzündung hatte. Sehr schmerzhaft, Bewegungen sind fast unerträglich, der ganze Bereich ist heiß (normal bei einer Entzündung). Wir Menschen gönnen uns dann gerne eine kleine Auszeit – es tut ja alles so furchtbar weh! Gehen zum Physiotherapeuten, lassen den Schleimbeutel punktieren etc.
Beim Pferd hingegen ist es mittlerweile normal, dass es dicke Schleimbeutel hat – nicht nur am Genick, sondern auch am Ellenbogen, Sprunggelenk, … „Die sind halt da und das Pferd läuft, naja es lahmt ein bisschen, oder geht nicht am Zügel, aber das liegt ja sicherlich nicht an den Beulen …“
MERKE:
Schleimbeutel schwellen bei Überlastung an und verursachen starke Schmerzen.
Der Auslöser (falsche Haltung, Überlastung, Druck) muss beseitigt werden und darf auch nach Abheilung nicht mehr hinzugefügt werden, sonst droht eine Chronifizierung!
Kissing spines:
Als kissing spines (auch küssende Wirbelspitzen) werden eng stehende oder sich berührende Dornfortsätze der Wirbelkörper bezeichnet. Hauptsächlich sind kissing spines im Bereich vom 10. – 18. Brustwirbel und auch in der Lendenwirbelsäule zu finden.
Der anatomische Aufbau:
Die Wirbelkörper haben alle einen physiologischen Abstand zu ihrem Partnerwirbel – geschützt durch Bandscheiben und Bänder sind sie in ihrer Lage im Körper fixiert.
Wenn das Pferd nun mit unpassenden Bewegungen sowie Belastungen konfrontiert wird, werden die Haltebänder überdehnt und die Wirbel bekommen „Spiel“. Durch fehlende oder falsche Bemuskelung wird dieses Phänomen verstärkt. Die Wirbelsäule befindet sich stellenweise im „freien Fall“ oder schwingt (siehe dazu den Blogbeitrag schwingende Wirbelsäule.
Beim Menschen wäre diese Krankheit mit einem Bandscheibenschaden oder auch einer Facettengelenksproblematik gleichzusetzen. Es tut sehr weh. Die Motorik der Gliedmaßen kann eingeschränkt sein (je nach Sitz der Problematik) und die Arbeitsleistung sinkt auf null. Die Physiotherapie ist in so einem Fall eine gute Idee und jeder freut sich, wenn nicht operiert werden muss. Tägliche, gezielte Bewegung unter Anleitung ist daher sehr wichtig.
Beim Pferd kommt der Doktor und spritzt ein Medikament zur Schmerzhemmung in den Rücken und rät zum weiter reiten. – Wer jetzt nicht aufschreit, liest die oberen 3 Absätze bitte noch mal!
Kissing spines entsteht durch falsche Belastung! Es wird schlimmer, wenn die Belastung weiter falsch bleibt! Daher muss auch bei einem Pferd an die Physiotherapie gedacht werden. Eine Spritze zur Schmerzhemmung kann helfen, um einen schmerzfreien Einstieg in das Training zu gewährleisten. Ein Freifahrtschein, um das Training so zu belassen, ist es nicht!
MERKE:
Kissing spines entsteht durch falsche Belastungen / Bewegungen und ist sehr schmerzhaft.
Der Auslöser (falsche Haltung, Überlastung) muss beseitigt werden.
Die Strukturen sind und bleiben dauerhaft geschädigt. Das Pferd ist eingeschränkt tragfähig.
Sehnenschaden:
Die empfindlichsten Strukturen an den Vorder- und Hinterbeinen sind die Beugesehnen (unter- und oberflächliche) und der Fesselträger. Die Sehnen sind häufig überlastet, entzündet oder beschädigt.
Der anatomische Aufbau:
Der Fesselträger entspringt hinten mittig am oberen Teil der Röhre zwischen den Griffelbeinen und stützt das Fesselgelenk. Er nutzt die Sesambeinchen als Umlenkrollen und verbindet sich auf Höhe des Krongelenks mit der Strecksehne.
Die Beugesehnen liegen über dem Fesselträger. Die untere Beugesehne endet am Hufbein und gehört zum Hufrollenkomplex, die obere Beugesehne endet am Krongelenk und wird auch als Krongelenkbeuger bezeichnet.
Beim Menschen wäre eine Sehnenentzündung / Sehnenscheidenentzündung mit einer Tendinitis / Tendovaginitis gleichzusetzen. Auch hier ist die Erkrankung sehr schmerzhaft. Der betroffene Bereich ist heiß, empfindlich und wir sind nicht arbeitsfähig. Je nach Grad der Erkrankung ist der Gang zum Physiotherapeuten angezeigt. Am besten schon bevor, das Gewebe beschädigt ist, damit der Therapeut zielgerichtet Übungen zur Entlastung der Strukturen aufzeigen kann.
Beim Pferd werden warme Sehnen, leichte Schwellungen und ein klammer Gang gerne ignoriert. „Der läuft sich gleich ein„, ist ein schöner und gern genutzter Satz. Legt euch doch mal ein Steinchen in den Schuh und lauft – 10 Minuten müsst ihr humpeln, danach „gewöhnt“ sich das Hirn an den Impuls „Schmerz“ und blendet ihn aus. – Das hat jetzt zwar nichts mit der Sehne zu tun, passt aber zum „einlaufen“.
Das Ende vom Lied: Das Pferd zeigt durch Wärme, Schwellung und schlechtes Laufen an, dass etwas nicht stimmt. Die Sehnenfasern werden gereizt und irgendwann entzünden sich die Fasern oder die Sehnenscheide; die Fasern geben auf und reißen. Die Sehne mag in 6 Monaten wieder komplett ausheilen, aber die Fasern sind nicht mehr so elastisch wie vor der Verletzung. Sollte die Belastung nicht angepasst werden, bekommt die Sehne wieder Druck und wird wieder „krank“.
MERKE:
Sehnenschäden entsteht durch falsche Belastungen / Bewegungen und sind sehr schmerzhaft.
Der Auslöser (falsche Haltung, Überlastung) muss beseitigt werden.
Die Strukturen sind und bleiben dauerhaft geschädigt. Das Pferd ist eingeschränkt tragfähig.
Es gibt noch zig andere Krankheitsbilder, aber ich habe mir nur die 3 häufigsten herausgesucht. Alle Krankheitsbilder sind auf falsche Belastung zurückzuführen. Sei es nun durch die Zucht (veränderte Körpermaße), falsches Training, falsche Böden, falsches Equipment.
Der Therapeut kann diese Strukturen nicht richten und der Tierarzt kann sie nicht wieder zu 100 % herstellen. Kaputtes Gewebe bleibt eingeschränkt. Bitte berücksichtigt dies bei der Belastung eures Vierbeiners und auch eures Körpers.